M. O'Driscoll: Ireland, West Germany and the New Europe, 1949–73

Titel
Ireland, West Germany and the New Europe, 1949-73. Best Friend and Ally?


Autor(en)
O'Driscoll, Mervyn
Erschienen
Anzahl Seiten
263 S.
Preis
£ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Gehler, Institut für Geschichte / Jean Monnet Chair für Europäische Geschichte, Stiftung Universität Hildesheim

Seit 1922 unterhielten das Deutsche Reich und Irland bilaterale Beziehungen. Im Zweiten Weltkrieg war Irland neutral. Es gab aber geheimdienstliche und militärische Kooperationen Irlands mit dem Vereinigten Königreich und den USA. Als einziger Staatschef der Welt kondolierte Éamon de Valera 1945 nach dem Suizid Hitlers in der deutschen Botschaft und protestierte auch später gegenüber der britischen Botschaft gegen die beim Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozess gefällten Todesurteile. Nicht nur das führte Irland in eine Isolation, denn es war in den 1950er-Jahren noch in einer politisch randständigen und ökonomisch prekären Lage. Isolationismus, Souveränitätsdenken und Protektionismus boten daher keine Perspektive mehr. Die virulente Krise zwang zu anderen Optionen. Seine Beziehungen zur Bundesrepublik wurden daher zum zentralen Element zwecks Orientierung an der westeuropäischen Integration (OEEC, EZU) und zur wirtschaftlichen Modernisierung des eigenen Landes.

Im Jahre 1961 schlossen Bonn und Dublin ein Handelsabkommen. Auf deutsche Empfehlung erfolgte ein neuer Wirtschaftskurs. Die irischen Erwartungen, Westdeutschland als großen Markt für seine Lebensmittelprodukte (v.a. Rindfleisch und Milchprodukte) zu gewinnen und damit die Abhängigkeit vom Vereinigten Königreich zu verringern, sollten sich jedoch kaum erfüllen. Als Ausgleich für die Nichtabnahme irischer Agrarprodukte unterstützte die Bundesrepublik westdeutsche Firmen, um sich in Irland anzusiedeln und dort zu investieren. Irische Exporte nach Westdeutschland bestanden daher mehr aus Fertigwaren, die von deutschen Zweigbetrieben mit Sitz in Irland hergestellt wurden. In der Mitte der 1960er-Jahre war Westdeutschland nach Großbritannien schon der zweitgrößte industrielle Investor in Irland vor den USA. Die Außenpolitik Irlands passte sich seiner Wirtschaftspolitik zunehmend an. Dublin konsultierte dabei immer wieder seine westlichen Nachbarn und nicht zuletzt Deutschland.

Trotz Skepsis gegenüber seiner Neutralität begriff die Bundesrepublik Irland immer mehr als ein für seinen Außenhandel interessantes Land. Premier Seán Lemass distanzierte sich von einer ideologischen Neutralität, gab sich antikommunistisch, demokratisch und westorientiert, was in Bonn gut ankam. Hierin gründet sich die flexible Handhabung der irischen Neutralität, wie Mervyn O’Driscoll in seiner auf deutschen, britischen und irischen Archivquellen gestützte und auf Printmedien-Analyse aufbauende Studie zeigt. Das geschickte Spiel mit der Neutralität war eine Voraussetzung für die Perspektive Irlands, in die EG aufgenommen zu werden, was dem wesentlichen Motiv entsprang, die extrem starke handelspolitische und wirtschaftliche Abhängigkeit von Großbritannien zu reduzieren.

Der Autor hat mit seiner kompakten Untersuchung ein sehr nachvollziehbar gegliedertes und lesenswertes Werk vorgelegt. Es geht zunächst auf das Verhältnis zwischen Irland und Deutschland vor der Gründung beider Republiken ein (S. 12–30) – übrigens im gleichen Jahr 1949 –, dem sich im zweiten Kapitel „Flitterwochen“ (S. 31–43) anschlossen und dann eine wachsende politische Dissonanz (Kapitel 3, S. 44–66), die durch den steigenden Handel seit den 1950er-Jahren (Kapitel 4, S. 67–96) abgelöst wurde, gefolgt von den Interaktionen zwischen der einsetzenden Industrialisierung Irlands und dem deutschen „Wirtschaftswunder“ (Kapitel 5, S. 97–127). Sodann geht O’Driscoll auf den wachsenden deutschen Einfluss auf die irische Außenpolitik unter Lemass ein, die sich immer stärker dem Standpunkt Bonns annäherte (Kapitel 6, S. 128–148). Als Gründungsmitglied der EGKS und der EWG schien die Bundesrepublik als „best friend and ally“ dem irischen EWG-Beitrittswunsch gewogen (Kapitel 7, S. 149–173), der 1961 in Brüssel deponiert, aber nach de Gaulles Veto gegen das UK 1963 für zehn Jahre auf Eis gelegt wurde. Die Aufnahme in die EG sollte erst nach Überwindung der innergemeinschaftlichen Krisen und nach de Gaulles politischem Ende mit einem neuerlichen britischen Anlauf in Brüssel zehn Jahre später (1973) gelingen. Was die irischen Beitrittsambitionen beförderte, war das gestiegene ökonomische und damit auch politische Gewicht der Bundesrepublik in der EG, die mit der Großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger und Willy Brandt (1966–1969) sowie der sozial-liberalen Koalition unter Willy Brandt und Walter Scheel (1969–1974) das irische Anliegen unterstützte (Kapitel 8, S. 174–195). Der Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden auf der grünen Insel schien überwunden, als sich 1965 der irische Taoiseach Lemass und der englische Prime Minister Terence O’Neill trafen. Doch die Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Es folgten Unruhen und Wirren im Konflikt zwischen katholischen Nationalisten und protestantischen Unionisten (Kapitel 9, S. 196–226).

O’Driscoll macht in seiner überzeugenden Studie sehr klar, dass der irische Beitrittswunsch nicht nur europäischen Märkten und EG-Subventionen galt. Verstanden wurde der Beitritt auch nicht mehr so stark als Bedrohung der nationalen Identität und der staatlichen Unabhängigkeit. Die EG hatte v.a. das für Dublin nützliche Potential, nicht nur das Ungleichheitsverhältnis zwischen Irland und Großbritannien zu kompensieren, sondern auch die anglo-irischen Beziehungen zu europäisieren und zu multilateralisieren. Die EG-Mitgliedschaft Irlands wirkte vertrauensbildend in den Beziehungen jenseits des bilateralen Streits im Nordirland-Konflikt. Dublin und London konnten in Brüssel als gleichberechtigte Partner auftreten und durch enge Konsultation und gute Koordination kooperieren. Die gemeinsame gleichzeitige Aufnahme in die EG verbesserte so gesehen die Beziehungen zwischen London und Dublin. Durch die Teilung der Souveränität mit anderen EG-Partnern wurde von irischer Seite eine stärkere Geltung auf internationaler Bühne erwartet, was sich nicht immer sofort realisieren ließ. Die EG-Mitgliedschaft erweiterte jedenfalls den außenpolitischen und europäischen Horizont der diplomatischen und politischen Akteure wie auch der Bevölkerung. Die EG erwies sich auch als duldsam und flexibel, indem sie die irische Neutralität akzeptierte, zumal das Projekt der politischen Union seit 1963 ad acta gelegt war. Die irische EG-Mitgliedschaft führte nach anfänglichen Anpassungsproblemen zu einem anhaltenden und bemerkenswert starken Wirtschaftsaufschwung.

Ein Epilog unter dem Titel „Irland, die deutsche Wiedervereinigung und die Erneuerung Europas“ (S. 227–242) beschließt unter kurzer Berücksichtigung auch der DDR als sehr gelungener Ausblick ein grundlegendes Werk. Kanzler Kohl sollte es nie vergessen, dass während der irischen Ratspräsidentschaft unter Charles J. Haughey in der ersten Hälfte 1990 die deutsche Einigung positiv vorentschieden worden ist. Das Buch von O’Driscoll stellt einen fundamentalen Beitrag zum besseren Verständnis nicht nur der bilateralen Beziehungen Bonn-Dublin (und Dublin-London) dar, sondern trägt auch zur Erhellung eines der vielen sensiblen Hintergründe der Gemeinschaftsgeschichte der 1950er-, 1960er- und frühen 1970er-Jahre bei. Dabei werden nicht nur handels-, investitions- und wirtschaftspolitische Aspekte eingehend behandelt, sondern auch solche politisch-kultureller Art.

Der Rezensent empfindet es als eine schöne Geste, dass das Buch Dermot Keogh, einem Pionier der Geschichte der irischen Europapolitik, sowie mit Joe Lee einem weiteren verdienten Historikerkollegen gewidmet ist.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension